Die große Herausforderung im Sport sind die Wettkämpfe. Hier versuchen die Teams, das zum Teil über Monate und Jahre aufgebaute Leistungsvermögen abzurufen. Gerade bei wichtigen Wettkämpfen und Meisterschaften gelingt dies am Tag X leider häufig nicht.
Doch warum ist dies so? Ist das nur das fehlende Glück? Sind äußere Umstände, die man scheinbar nicht selbst beeinflussen kann, daran schuld? Oder wurden tatsächlich Fehler im Wettkampf, in der Wettkampfvorbereitung oder vielleicht auch schon im Training gemacht?
Das Prinzip des Best Practice wird seit vielen Jahren von Wirtschaftsunternehmen angewandt, in dem man versucht, die „Erfolgsrezepte“ anderer Unternehmen auf sein eigenes zu übertragen. Auch im Sport werden diese Möglichkeiten zunehmend angewendet, von anderen – nicht aus der eigenen Sportart stammenden – zu lernen, um seine Leistung zu verbessern.
Im Hundesport macht der Faktor Hund die Ursachenanalyse noch viel komplexer, als dies ohnehin schon ist. Aber vielleicht liegt darin gerade die Chance, mit neuen Perspektiven eingefahrene Wege verlassen zu können. Aus diesem Grund wurde im Rahmen von MIT SYSTEM TRAINIEREN ein interdisziplinäres Gespräch mit ausgewiesenen Experten rund um den Sport gesucht. Wieviel System und wieviel Methodik sind im Hundesport möglich? Rede und Antwort standen zu den Fragen Gunter Schröer, Dipl. Sozialpädagoge, Mentaltrainer und Trainer von Dorothee Bauer (Mitglied der deutschen Nationalmannschaft der Sportschützen und Olympiateilnehmerin) sowie Eva Rapp, Leichtathletik-Bundestrainerin und dort verantwortlich für den weiblichen Mehrkampfnachwuchs.
Die Fragen an Gunther Schröer
Frage: Das Thema Sportpsychologie wird häufig leider immer noch in die Schublade „Psychiatrie“ eingeordnet. Wie groß ist der mentale Einfluss auf das Wettkampfergebnis denn tatsächlich bzw. ist die mentale Stärke trainierbar?
Antwort: Nach meinen Erfahrungen hängt die Leistungsstärke im Wettkampf wesentlich davon ab, wie stark der Sportler dem sogenannten Flow-Zustand nahe kommt. Sind die beiden Dynamiken a) Anforderung und b) Fähigkeiten gleich stark, kommt der Wettkämpfer in einen Fluss (Flow), der ihm scheinbar alles ermöglicht. Das bewusste Denken nimmt gegenüber dem intuitiven Handeln merklich ab. Alles geschieht wie in einer Art Trance. Lang trainierte Techniken bzw. Ablaufe spulen sich wie von selbst ab. So macht sich ein Skirennläufer während des Slaloms keine Gedanken darüber wie er Körper und Ski benutzt, damit das Werk gelingt. Damit Anforderung und Fähigkeit gleich stark wirken können, darf der Sportler keine Zweifel ob seines Könnens hegen. Diese werden durch mentales Training angemessen ausgeräumt. Je besser ihm das gelingt, desto stärker ist er von seinem Können überzeugt, desto selbstbewusster bestreitet er seinen Wettkampf. Weiterhin lernt der Sportler sich auf eine Sache zu konzentrieren und alles andere auszublenden. Die Grenzen von mentalem Training werden dann überschritten, wenn der Sportler zur Selbstüberschätzung neigt oder euphorisch wird. Damit spiele ich auf die „Psycho- Gurus“ an, die ihren Seminarteilnehmern grenzenloses Selbstbewusstsein vermitteln und ihnen Glauben machen, dass sie alles schaffen können, wenn sie nur wollen. Mentale Techniken müssen genauso hart trainiert werden wie alle anderen auch.
Frage: Ob in Managerseminaren, in der Gesundheitsbranche oder im Sport: das Schlagwort „positives Denken“ wird als der Schlüssel zum Erfolg propagiert. Haben Zweifel vor dem Start tatsächlich so negative Auswirkungen?
Antwort: Zweifel sind Einwände, die uns auf etwas Nichtbeachtetes hinweisen wollen. Zweifel zeigen uns, dass wir uns noch nicht ganz glauben können, dass wir das angestrebte Ziel auch erreichen. Positives Denken muss erlernt werden und ist aber nur ein Schlüssel am Schlüsselbund des Erfolgs.
Frage: Sie pflegen eine sehr bildhafte Sprachen: Was wollen Sie genau mit Ihrer Aussage, „das Übel beginnt am anderen Ende der Leine“ ausdrücken?
Antwort: Oft neigen Sportler dazu, nach Niederlagen die Ursachen in ihrer Umwelt, am Gerät, oder bei Anderen zu suchen. Dies sind natürliche Abwehrreaktionen, um mit Enttäuschungen besser umgehen zu können. Für den Hochleistungssportler ist es aber wichtig zu wissen, dass das wenig nützt, denn er kann seine Umwelt, oder Andere nicht verändern. Er kann nur sich und seine Einstellung verändern, also die volle Verantwortung für sich zu übernehmen und „Schuld“ nicht bei Anderen suchen.
Frage: Die meisten Sportler wollen zwar gewinnen, aber trotzdem ein kameradschaftliches Verhältnis zu ihren Konkurrenten pflegen. Wie kann dieser Zwiespalt gelöst werden?
Antwort: Der Zwiespalt zwischen Freund und Konkurrent wird immer da sein. Deshalb mache ich meinen Sportlern immer wieder bewusst, dass beide Konkurrenten gemeinsam ihrem Sport unterstehen und beide sind in die Pflicht genommen, ihren Sport durch ihre Leistungen weiterzuentwickeln. In dieser Haltung schaut man ganz anders auf seinen Konkurrenten.
Frage: Im Umgang mit dem Hund wird viel von Ritualen gesprochen. Gibt es auch Rituale für den Menschen, die ihm im Wettkampf helfen können, zum Beispiel um seine Nervosität zu überwinden?
Antwort: Ein Ritual ist eine persönliche Sache. Deshalb kann man sie schlecht verallgemeinern. Es gibt wohl kaum ein Profi der kein Ritual hat, bevor er in den Wettkampf geht. So beschwor die deutsche Fußballmannschaft in den 1970-igern und 1980-igern Jahre vor Europa- oder Weltmeisterschaften gerne den „Geist von Malente.“ Von Miroslav Klose weiß ich zum Bespiel, dass er das Spielfeld immer zuerst mit dem rechten Fuß betritt. Oder man hat den Spleen grundsätzlich unrasiert in den Wettkampf zu gehen, da man sich so sicherer fühlt.
Frage: Wie wichtig ist es im Sport, ein klar definiertes Ziel zu haben, von dem man sich leiten lassen sollte?
Antwort: Das klar definierte Ziel ist mit Einschränkungen der wichtigste Baustein des Erfolgs. Das Ziel ist die Landkarte an der ich mich, wenn nötig, im Wettkampf orientieren kann. Ziele definieren Erfolg. Sie machen Erfolg messbar.
Frage: Im Wettkampf passieren häufig unvorhergesehene Ereignisse, die sich als negativer Stress auswirken können. Es fängt auf einmal an zu regnen, der Richter bewertet heute besonders streng oder der Zeitplan hat sich kurzfristig geändert. Gibt es Wege und Strategien, wie man mit unvorhergesehenen Ereignissen besser zu Recht komme?
Antwort: Ja. Indem ich mir vorher bewusst mache, was mache ich wenn… Meine Lösungen für Regen oder strenge Richter, die ich mit meinem Trainer erarbeitet habe, visualisiere ich dann als einen inneren Film in meinem K opf. Und zwar alles vom Anfang bis Ende. Sollte im Wettkampf dann tatsächlich diese Situation auftauchen, aktiviert sich das gewünschte Verhalten im Kopf und ich kann gelassen bleiben.
Die Fragen an Eva Rapp
Frage:Bei der Anschaffung eines Hundes haben die wenigsten Leute von Anfang an Hundesport im Hinterkopf, das Interesse für den Sport entwickelt sich erst mit der Beschäftigung mit dem Hund. Häufig fehlt deshalb eine sportliche Grundausbildung der Hundeführer. Doch schon beim normalen Fußlaufen kommen viele Hundeführer an ihre Grenzen, da ihnen eine natürliche Gangart, Körperspannung und Körperhaltung verloren gegangen sind. Wie beurteilst Du diese Situation?
Antwort: Bei den meisten Teams klaffen die körperlichen und sportlichen Voraussetzungen weit auseinander. Die meisten Hundeführer betreiben neben dem Hundesport keine weiteren sportlichen Aktivitäten, so dass bei vielen große koordinative und konditionelle Defizite vorhanden sind. Das Gefühl für den Körper ist verloren gegangen oder auch durch konditionelle Mängeln nicht mehr oder nur noch bedingt abrufbar. Kondition und Koordination stehen in unmittelbarem Zusammenhang. Eine Technik kann nur so gut sein, wie es die konditionellen Voraussetzungen es zulassen.
Schlechtes Koordinationsvermögen zeigt sich meistens schon in der Fußarbeit. Viele Hundeführer haben nie gelernt, technisch sauber und mit Körperspannung zu laufen, Eigenschaften, die wir aber von unseren Hunden verlangen. Viele Fehler in der Fußarbeit des Hundes liegen ausschließlich in der schlechten Körpersprache und Fußarbeit des Hundeführers. Läuft der Hundeführer runde Winkel, wird auch der Hund runde Winkel laufen und „latscht“ der Hundeführer spannungslos über den Platz, wird der Hund sich sicher anpassen. Hier sehe ich noch große Leistungsreserven.
Frage: Welche Eigenschaften muss ein Sportler aus Deiner Sicht mitbringen, um im Leistungssport erfolgreich zu sein?
Antwort Talent, körperliche und mentale Voraussetzungen, Zielstrebigkeit, Disziplin, Konsequenz, Opferbereitschaft.
Frage: In Deiner Arbeit mit den Nachwuchsathleten werden schon weit im Voraus der eigentlichen Wettkampfsaison klare Ziele gesetzt. Wie wichtig ist das in Deiner Arbeit? Und wie wirkt sich das in der täglichen Trainingsarbeit aus?
Antwort:Die Absprache der Zielsetzung ist die Voraussetzung für die gesamte Trainings- und Karriereplanung. Wir unterscheiden zwischen kurzfristigen und langfristige Zielsetzungen. Voraussetzung ist hier eine realistische Einschätzung des Athleten und Festsetzung von erfüllbaren Zielen, sonst produziert man Verlierer und Misserfolg. Die Festlegung der Ziele erfolgt gemeinsam mit Trainer und Athlet, die Vorstellungen beider müssen deckungsgleich sein. Die Zielsetzung hat direkten Einfluss auf die Trainingsplanung, je höher die Ziele, desto mehr muss investiert werden. Auf Grund der Zielsetzungen werden die notwendigen Maßnahmen für die Weiterentwicklung des Sportlers festgelegt, dass betrifft sowohl das sportliche als auch das private Umfeld. Um das große Ziel zu erreichen, ist es notwendig Teilziele zu formulieren und diese durch entsprechende Tests zu kontrollieren.
Frage: Im Hundesport wird häufig einfach darauf los trainiert, ein systematisches Training findet in der Regel nur beim Aufbau vom Welpen zum Sporthund statt. Wird ein Hund im Sport geführt, sind meist keine Trainingsschwerpunkte im Jahresablauf erkennbar. Aus anderen Sportarten können wir lernen, dass es einen systematischen Trainingsaufbau gibt, das mit einem Grundlagentraining beginnt und zu den Saisonhöhepunkten hin immer spezifischer wird. Wo siehst Du die grundsätzlichen Vorteile einer Periodisierung des Trainings?
Antwort: Der Wettkampf bestimmt die Trainingsgestaltung, das heißt, entsprechend der Terminierung des Saisonhöhepunktes wird die Trainingsgestaltung vorgenommen. Trainingsplanung ist wie ein Hausbau. Wer kein vernünftiges Fundament setzt, wird auch kein gescheites, stabiles Haus bauen können.
Damit der Körper hohe Belastungen tolerieren kann, müssen entsprechender Adaptationszeiten eingehalten werden, das heißt, der Körper muss die Chance der Anpassung bekommen, das Herzkreislaufsystem z.B. braucht etwas 6 Wochen, bevor überhaupt die gewünschte Anpassung stattfindet. Die biologischen Anpassungszeiten müssen in der Trainingsplanung berücksichtig werden.
Diese Anpassung erreicht man zu Beginn des neuen Trainingsjahres über allgemeines Umfangstraining mit niedrigen Intensitäten. Im Verlauf des Trainingsjahres werden die Umfänge niedriger und die Intensitäten höher und spezifischer je mehr man sich dem Saisonhöhepunkt nähert. Voraussetzung für hohe Belastungsintensitäten ist immer eine gute allgemeine, athletische Grundlage. Eine gute Grundlagenausdauer ermöglicht z.B. eine hohe Toleranz im Schnelligkeitsausdauerbereich und eine bessere Regenerationsfähigkeit.
Leistungsentwicklung ist langfristig nur über kontinuierliche Umfangserhöhung zu erreichen. Dieser Aufbau dient nicht nur der Leistungsentwicklung, sondern auch der Gesunderhaltung des Athleten und nur gesunde Athleten sind leistungsfähig und können Top-Leistungen abrufen.
Frage: Im Umgang mit dem Hund wird viel von Ritualen gesprochen. Gibt es bei Deinen Nachwuchsathletinnen auch Rituale, um zum Beispiel mit der Nervosität vor dem Wettkampf besser zu Recht zu kommen und vielleicht auch unvorhergesehene Ereignisse besser bewältigen zu können?
Antwort: Jede Athletin entwickelt eigene Rituale, die teilweise automatisiert sind. Die beste Vorbereitung findet jedoch bereits im Training statt, Abläufe des Wettkampfes müssen im Training oder durch kleine, unbedeutende Wettkämpfe immer wieder geübt werden. Entscheidend ist die Sicherheit, mit der die Athletin in den Wettkampf geht. Gibt es im Vorfeld große technische Probleme oder Unsicherheiten, werden diese im Wettkampf mit größter Wahrscheinlichkeit wieder aufbrechen.
Wir versuchen vor Wettkämpfen Störfaktoren zu beseitigen, dass heißt unter anderem rechtzeitige Kontrolle der Wettkampfutensilien, pünktliches Erscheinen am Wettkampfort, vor Wettkämpfen Stadionbegehung, wichtige Frage: „Wo sind die Toiletten?“
Die Aufwärmphasen sind, wenn möglich genau strukturiert, kein stundenlanges Aufwärmen, um die Nervosität zu bekämpfen. Wichtig ist auch die mentale Einstellung zum Wettkampf: „Was will ich eigentlich erreichen?“ Wettkampf ist keine Strafe, sondern Belohnung.